So funktioniert Digitalisierung in der Pflege nicht – Ständige Aufschiebungen und Fehlplanungen dezimieren das Vertrauen von Pflegeeinrichtungen in die digitale Technik
Die Pflege muss und soll digitalisiert werden, um Abläufe einfacher zu gestalten und dringend benötigte Arbeitszeiten der Pflegekräfte, aber auch der Mitarbeitenden in den Kassen, wieder dem Kernthema zur Verfügung zu stellen: der guten Pflege von Menschen!
Derzeit ist jedoch der Zeitplan so unübersichtlich, dass kaum noch einer das Reglement durchschaut. Am 01.09.2024 soll die Lebenslange Beschäftigtennummer (LBNR) für die Abrechnung genutzt werden. Dass dazu elektronische Leistungserfassung erforderlich ist, ist allerdings weitgehend unbekannt. Das Projekt ist trotz zweifacher Verschiebung nicht umsetzbar und nicht bei allen Kassen können die zu versendenden Daten gelesen werden.
Gleichzeitig sollte die Probephase für die vollelektronische Abrechnung beginnen, deren Start nun ebenfalls verschoben wird. Angedacht sind unterschiedliche Daten, von denen noch keins sicher ist. Dies sind der 01.11.2024 für die Probephase der vollelektronischen Abrechnung und der 01.03.2025 für die Nutzung der LBNR, deren Einführung die Grundlage für die Datenübertragung von Rechnungen und erst recht erforderlich für die vollelektronische Abrechnung ist, die zum 01.12.2026 verpflichtend werden soll.
Ein weiteres Beispiel für die holprige Umsetzung der Digitalisierung ist die Telematikinfrastruktur, die zur Jahresmitte 2025 bindend sein soll. Ca. 36.000 Pflegeeinrichtungen (Quelle: Daten der DCS-Meldungen) sollen zu diesem Zeitpunkt angeschlossen sein. In der letzten Woche waren es erst 778. Pro Woche müssten also ab jetzt gut 800 Einrichtungen angeschlossen, also mit Hard- und Software versehen werden, Smartcards erhalten, Installationen vornehmen und Mitarbeitende schulen. Das für die Herausgabe der Smartcards zuständige elektronische Gesundheitsberuferegister kann derzeit nicht mehr als 200 Kartenanträge pro Woche bearbeiten.
Probleme treten auch bei der Einführung der elektronischen Verordnung der Häuslichen Krankenpflege (eVO HKP) zum 01.07.2026 auf. Wie das Procedere dazu aussieht, ist noch ungewiss. Kassen und Industrie haben unterschiedliche Ansätze, die Pflegeeinrichtungen müssen hier aber unbedingt entlastet werden.
Allein diese kurze und noch nicht einmal vollständige Darstellung zeigt, wie unübersichtlich das Thema „Digitalisierung in der Pflege“ ist. Die Geschäftsführerin des Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e. V. Andrea Kapp führt aus: „Dass Pflegeeinrichtungen das System, ihre Pflichten und auch nicht ins Gesetz geschriebene, aber faktisch notwendige Voraussetzungen wie die elektronische Datenerfassung bei den Leistungen, nicht mehr durchschauen, ist aus diesem Grunde gut nachvollziehbar.“
Hinzu kommt, dass es in der Vergangenheit immer wieder Verschiebungen von Einführungen gegeben hat. Das E-Rezept, das Beschäftigtenverzeichnis der ambulanten Pflege, die Telematik-Infrastruktur (TI) und die TI-Finanzierungsvereinbarung stehen beispielhaft dafür. Der erste Bundesvorsitzende des bad e. V. Andreas Kern gibt zu bedenken: „Pflegeeinrichtungen glauben nicht mehr an die Fristen und verweigern sich zunehmend, weil sie Sorge haben, veraltete Technik zu besitzen, wenn es dann wirklich losgeht.“
Daher fordert der bad e. V., dass die Digitalisierung so einfach und übersichtlich wie möglich sein muss. Schon die hohen Sicherheitsbedürfnisse stellen an die Technik große Anforderungen, die nicht einfach umzusetzen sind. Der Umsetzungsweg muss daher einfacher werden. Ein harter Schnitt ist erforderlich, um einen realistischen Zeitplan zu erarbeiten, der aber auch wirklich einzuhalten ist und zwar so, dass das System funktioniert und nicht für alle einen Mehraufwand ohne Entlastung bedeutet.
Der bad e. V. sieht daher folgende Maßnahmen für eine erfolgreiche Digitalisierung als erforderlich an:
- Aufhebung aller jetzigen Termine bzw. Fristen
- Neufassung aller Termine etwa zum 01.01.2027 für:
– TI-Anschlusspflicht für Kassen und Einrichtungen
– Einführung der eVO HKP für Kassen und Einrichtungen
– Pflicht zur vollelektronischen Abrechnung für Kassen und Einrichtungen
– Pflicht zur Nutzung der LBNR für Kassen und Einrichtungen
– Pflicht zur elektronischen Leistungserfassung mit finanzieller Förderung der technischen Voraussetzungen
Andrea Kapp: „Nur dann, wenn das System funktioniert und Anwendungen auch tatsächlich genutzt werden können, wird das verlorene Vertrauen in die Digitalisierung wieder gestärkt.“
Kontakt
Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e. V.
Andrea Kapp, RA‘in
Bundesgeschäftsführerin, Qualitätsbeauftragte (TÜV)
Zweigertstr. 50
45130 Essen
Tel: 0201/354001
a.kapp@bad-ev.de
Über den bad e. V.
Der Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e. V. mit seinem Hauptsitz in Essen wurde 1988 gegründet. Er vertritt die Interessen von bundesweit über 1.500 zumeist privat geführten Pflegediensten und -einrichtungen und stellt damit einen der großen Leistungserbringerverbände in der Wachstumsbranche Pflege und Betreuung dar.